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AMD Absolventin gewinnt Förderpreis: Raphaela Fritz im Interview

Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen sind das große Lebensthema von Raphaela Fritz, Mode- und Designmanagement (B.A.) Absolventin an der AMD Berlin. Für ihre Bachelorarbeit mit dem Titel „Social Business Compliance – (gezielt und leicht) erlernbar?“ wurde die 24-jährige von der renommierten Wilhelm Lorch Stiftung ausgezeichnet. Wir gratulieren herzlich – denn nicht nur ihre herausragende Arbeit, sondern auch ihr soziales Engagement sind beispielhaft. Im Interview erzählt sie uns von ihrem nachhaltigen Lebenstil und sozialen Engagement sowie ihren Plänen für die Zukunft.

Raphaela, Glückwunsch, du gehörst zu den diesjährigen Preisträgern der Wilhelm-Lorch-Stiftung. Was waren deine ersten Gedanken, als du von der Auszeichnung für deine Bachelorarbeit erfahren hast?

Vielen lieben Dank! Ich habe mich unglaublich gefreut, als ich erfahren habe, dass ich als Preisträgerin ausgewählt wurde. Mein erster Gedanke war „Yes, ich habe es geschafft!“ Und natürlich bin ich auch ein bisschen stolz, dass ich eine gute Arbeit über ein sehr relevantes Thema geschrieben habe. Ich bin sehr glücklich über die Förderung und fühle mich auch dadurch bestärkt, meine Vision weiterzuverfolgen.

Neben der finanziellen Unterstützung, was bedeutet die Auszeichnung für dich? Hast du Pläne, wie du das Preisgeld einsetzen möchtest?

Die Auszeichnung bedeutet mir sehr viel und motiviert mich enorm, weiterhin meiner Vision einer nachhaltigen Modeindustrie zu folgen, und mich dafür einzusetzen. Das Preisgeld ist an meine weitere Ausbildung gebunden. Ich werde das Geld also für die Gebühren meines bevorstehenden Masters nutzen. Im August 2019 fange ich in Tilburg in den Niederlanden den Masterstudiengang “Global Management of Social Issues” an.

In deiner Abschlussarbeit thematisierst du nachhaltige und vor allem sozial nachhaltige Wirtschaften und mögliche Implementierungsvorschläge. Was waren die Beweggründe, dich für dieses Thema zu entscheiden?

Ich hatte drei Ansätze, die ich gerne in meiner Bachelorarbeit integrieren wollte: soziale Nachhaltigkeit, eine umsetzbare Lösung für Modeunternehmen und etwas Innovatives. Der Grund dafür ist, dass ich mich während meines Studiums an der AMD auf Nachhaltigkeit fokussiert habe, nachdem ich meine Passion für diesen Bereich entdeckt habe: Im Fach Sozial- und Umweltmanagement dachte ich mir irgendwann, dass ich die Missstände, die durch unseren westlichen Massenkonsum verursacht werden, nicht unterstützen, sondern etwas Besseres machen möchte. Seither brenne ich für meine Arbeit, weshalb ich mich auch privat sehr gerne mit der Thematik auseinandersetze.

Ich habe mich auf eine innovative Lösung für Modeunternehmen fokussiert, da ich bei vielen Podiumsdiskussionen und Vorträgen auf der Suche nach neuen Ansätzen war, jedoch meist erfolglos. Es wird nämlich oft auf die Missstände in den Produktionsländern aufmerksam gemacht, aber leider selten über Lösungen oder Strategien geredet, die den Status quo in eine positivere Richtung führen könnten. Zudem habe ich eine kreative Ader, die ich auch gerne in meiner Arbeit darstellen wollte. Kreativität ist für mich nicht nur Kunst, sondern vielmehr auch komplexes Denken.

Nach einigen Gesprächen mit Prof. Dr. Rollwagen bin ich auf das Thema “Social Compliance” gekommen und habe dies um den Begriff “Business” erweitert, da (soziale) Nachhaltigkeit ein Business Case für Modeunternehmen darstellt. Da die Fachgebiete von Prof. Dr. Rollwagen Digitalisierung und Zukunftsforschung sind, hat er mich dazu inspiriert, mich mit dem Bereich “Lernen” auseinanderzusetzen. Die letztendliche These, die ich formuliert habe, hat meinen drei Ansätzen entsprochen und war somit perfekt für mich.

Welches Ziel hast du mit deiner Bachelorarbeit verfolgt?

Mit meiner Arbeit wünsche mir, dass die Verantwortlichen und die Führungskräfte der Modebranche sich zukünftig an den allgemeinen Menschenrechten orientieren und dies durch verantwortliches Handeln ausdrücken, das heißt das Business Case erkennen, um so eine nachhaltige und positive Impression für die Gesellschaft, die Umwelt und vor allem für die Arbeiter in den Fabriken zu generieren.

Nachhaltigkeit und soziales Engagement lebst du selbst auch privat aus. Erzähle uns ein bisschen über deine ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Ja, das “Soziale” zieht sich durch meine ganze Vita. Ich habe 2017 mit zwei permanenten ehrenamtlichen Tätigkeiten angefangen: Ich war Mitglied bei der Gruppe “Gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen” bei Amnesty International. Das Gruppentreffen fand jede zweite Woche statt. Dort wurden neue Projekte, Themen und Petitionen besprochen und organisiert.

Als ich nach Berlin gezogen bin, war ich ziemlich schockiert, als ich sah, wie viele Menschen obdachlos sind. Jedes Mal, wenn mir etwas so direkt vor die Augen geführt wird, habe ich den Drang, etwas zu verändern und mich für Projekte zu engagieren. Deshalb war ich Mitglied der Gruppe “Ein Herz für Obdachlose”, mit der wir jede Dienstagnacht selbstgekochtes warmes Essen, Kuchen, Obst, Getränke und Bekleidung verteilt haben. Diese ehrenamtliche Tätigkeit hat mich sehr bereichert und mir auch sehr viel Freude bereitet. Durch den intensiven Kontakt zu diesen Menschen bekam ich Einblicke in deren teilweise erschütternde Schicksale  und ich hörte viele herzzerreißende Lebensgeschichten.

Da das Thema Nachhaltigkeit nicht im Fokus des Curriculums für Mode- und Designmanagement steht, habe ich gemeinsam mit einer Kommilitonin ein Filmscreening der Dokumentation “The True Cost” mit anschließender Diskussionsrunde an der AMD organisiert. Der Film zeigt die verheerenden Auswirkungen der modernen Fast-Fashion-Industrie in den Produktionsländern, angetrieben durch den Massenkonsum westlicher Länder.

In Bangladesch engagiere ich mich in kleineren Projekten. Ich habe bei einem Childprotection Workshop der Organisation Yellow Brick Road mitgeholfen. Dabei wird Kindern spielerisch erklärt, wie sie (sexuelle) Belästigung erkennen, und was sie in so einer Situation tun können. Die Thematik ist in Bangladesch sehr prekär, da die meisten Vorfälle innerhalb der Familien passieren.

In Dhaka nimmt die Obdachlosigkeit ganz andere Dimensionen an. Hier leben unglaublich viele Kinder, kranke und alte Menschen oder Frauen mit Babys auf den Straßen und betteln um Geld und Nahrungsmittel. Das zu sehen, war für mich erst ein Schock. Als ich hörte, dass fast alle dieser Kinder und Erwachsenen Drogen nehmen, um dieses Leben überhaupt aushalten zu können, ging mir das sehr nahe.

Hier gibt es ein tolles Projekt namens “Mojar School”. Das sind Schulen für Straßenkinder. Vor kurzem habe ich mit meinen Freunden solch eine Schule hier besucht und an die Kinder Essen und Trinken verteilt. Zudem werde ich bald Pate von einem Kind und unterstütze es durch einen monatlichen finanziellen Beitrag.

Du bist 24 Jahre und hast dein Studium abgeschlossen. Was machst du gerade? 

Derzeit bin in Dhaka in Bangladesch. Ich absolviere bereits mein zweites Praktikum hier. Das erste habe ich bei einer lokalen NGO “Bangladesh Labour Foundation (BLF)” durchlaufen und während dieser Zeit in der Bekleidungs-Produktion für den lokalen Markt im Bereich Verbesserung der Arbeitsbedingungen mitgewirkt.

Mein zweites Praktikum absolviere ich derzeit seit Januar 2019 bei der Fair Wear Foundation in Dhaka. Das ist eine in den Niederlanden sitzende Multistakeholder- und Non-Profit-Organisation mit der Mission, die Arbeitsbedingungen in den exportorientierten Fabriken zu verbessern. Einige Modemarken haben eine Mitgliedschaft bei der FWF, und mit deren Fabriken arbeiten wir hier in Bangladesch mittels verschiedener Aktivitäten, wie dem Etablieren eines Anti-Harassment Committees (Workplace Education Programme), Audits, Research etc. zusammen.

Was sind deine Zukunftspläne?

Nach Abschluss meines Masters habe ich den Plan, in einer Organisation zu arbeiten, deren Schwerpunkt das Thema Social Compliance in der Modeindustrie ist. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Fabriken ist mein Hauptanliegen und ich bin bereit, meine ganze Energie einzusetzen, um diese Missstande wie (Sexual) Harassment, exzessive Überstunden, niedrigen Lohn und so weiter zu beenden. Nach einigen Jahren Arbeitserfahrung könnte ich mir auch gut vorstellen, mit einer innovativen Businessidee ein eigenes Social Business zu gründen.

Was hast du an der AMD gelernt und wie kannst du dein Know-how einsetzen?

Die AMD als Fachhochschule hat einen sehr praxisnahen Ansatz, der mir nun wirklich zugutekommt. Selbst in den Fabriken verstehe ich die Prozesse, da ich mehrere Semester Textiltechnologie sowie Produktmanagement und Qualitätsmanagement als Kurse absolviert habe. Auch andere wirtschaftsbezogene Fächer helfen mir bei der Arbeit, da ich die Businessperspektive sehr gut nachvollziehen kann. Ich denke, ich habe deshalb mit diesem Studium einen klaren Vorteil im Vergleich zu einem reinen wirtschafts- oder entwicklungsbezogenem Studium ohne Schwerpunkt auf Mode. Es ist auch eine Erfüllung, wenn man das Gelernte, das in der AMD glücklicherweise sehr realitätsnah war, nun endlich in die Tat umsetzen kann. Das Studium Mode- und Designmanagement ist sehr breit gefächert. Man lernt auch einige Software Programme wie Adobe Photoshop, InDesign und Illustrator oder auch Microsoft Excel. Alle  Programme benutzte ich regelmäßig in meinem aktuellen, aber auch in vergangenen Arbeitsplätzen.

Welche Tipps hast du für junge Talente?

Ich denke, das Wichtigste ist, dass man für ein Thema brennt oder sich für eine Arbeit begeistern kann. Wenn man seinen Platz gefunden hat, ist man glücklich mit dem, was man tut. Es ist dann im eigentlichen Sinne keine Arbeit und schon gar kein Job, sondern eine große Bereicherung, die dazu beiträgt, Visionen zu realisieren und Möglichkeiten zu erweitern.

Deine Erfahrung mit der Stiftung ist sehr spannend und sicherlich für viele (angehende) Studierende wirklich hilfreich und inspirierend. Möchtest du uns dazu noch etwas erzählen?

Ich möchte noch sehr gerne darauf aufmerksam machen, dass jeder einzelne Mensch etwas bewirken kann. Gerade Studierende im Bereich Mode sollten sich mit der Thematik Nachhaltigkeit auseinandersetzten. Wir leben in einer Welt, in der Menschen durch Massenkonsum befriedigt werden sollen. Denkt man jedoch an die nächsten, und natürlich auch an unsere eigene Generation, wird schnell klar, dass die bisher bestehenden Business Modelle in Zukunft nicht mehr funktionieren können. Wir brauchen neue nachhaltige, der Umwelt und dem Menschen zugute kommende Modelle.

Besonders die Modeindustrie, die die Umwelt in desaströsem Maße belastet, aber auch alle Konsumenten möchte ich gerne dazu aufrufen über Medien Glamour, Blogger-Life und Massenkonsum nachzudenken, aus dieser Scheinwelt herauszutreten und in der Realität anzukommen: Nur unser Konsumverhalten kann alles ändern. Jeder ist in der Verantwortung! Durch weniger, aber nachhaltig produzierte Ware oder Secondhand Mode, kann jeder an der Verbesserung mitwirken. Da die Fast Fashion Industrie jedoch den wirtschaftlichen Aufschwung in Bangladesch mit sich gebracht hat, ist es keine Option von heute auf morgen Fast Fashion abzuschaffen.

Aber wir können alle zu einem umwelt- und wirtschaftsverträglichen Prozess durch die Änderung der Schwerpunkte beitragen. Wenn ihr bei H&M, Zara und Co. einkauft, überlegt euch, ob ihr das Kleidungsstück wirklich braucht und fragt im Store nach Chemikalieneinsatz,  Arbeitsbedingungen, Preiszusammensetzung. Die Mitarbeiter geben diese Informationen an das Management weiter und das bewirkt oft mehr als man denkt. Die Konsumenten haben mehr Macht, als sie glauben!

Beteiligt Euch an Kampagnen oder organisiert Filmscreenings oder andere Veranstaltungen, um auf die Thematik aufmerksam zu machen oder findet neue innovative Lösungen während eures Studiums (so etwas wie Cradle-to-Cradle, Recycling, neue innovative Business Cases etc). Jede Entscheidung die wir treffen, hat einen Impact – dieser kann positiv oder negativ sein. Setzt euer Handeln sinnvoll ein – wenn jeder im Kleinen und bei sich etwas verändert hat das auch im Großen Auswirkungen.

Die Wilhelm Lorch Stiftung hat das Ziel, den qualifizierten Branchennachwuchs in allen Bereichen der gesamten Textilwirtschaft zu fördern. Getragen wird sie von Persönlichkeiten und Unternehmen der Textil- und Modebranche.

Die AMD dankt der Stiftung und dem Kuratorium für die Förderung des Nachwuchses, der Widmung zu diesem wichtigen Thema und der ermöglichten Verwirklichung von Zukunftsplänen.