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ZEIT-online Interview mit AMD-Studiendekan Theo Grassl

Theo Grassl, unser Studiendekan für Mode Design (B.A.) und Leiter des Fashion Management-Programms (M.A.) in München, hat der ZEIT Online ein Interview gegeben.

Er diskutierte die historische und kulturelle Bedeutung des gestreiften Shirts sowie dessen zeitlose Anziehungskraft.

Lest das interessante Interview und gewinnt einen Eindruck von unserem erfahrenen Modedozent am AMD-Standort in München.

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Zeit-online Interview:

Seit Cobain und Picasso stehen Querstreifen immer auch für Rebellion

Kaum ein Schaufenster kommt im Sommer ohne aus – man sieht es am Elbstrand und auf Segelbooten genau wie in hippen Bars: das Streifenshirt!

Doch woher kommt es, und wie konnte es in all den Jahren seine Anziehungskraft behalten?

Das kann Theodor Grassl beantworten, Studiendekan an der AMD Akademie für Mode und Design in München.

Als Bayer ist ihm die maritime Farbkombination des klassisch gestreiften Langarmhemds nicht fremd, obwohl es bei ihm im Süden nicht Blau-Weiß heißt, sondern Weiß-Blau. 

ZEIT ONLINE: Herr Grassl, wann haben Sie sich zuletzt ein Streifenshirt gekauft?

Theodor Grassl: Das letzte erst letztes Jahr, ein Longsleeve von Warehouse aus Japan. Und das erste, als ich in den Achtzigerjahren auf den Spuren meiner Eltern in die Bretagne reiste. Sie waren dort 1956 als junges Paar auf Hochzeitsreise, und ich wollte die Zeit, die sie dort miteinander verbrachten, nachempfinden. In St. Malo kaufte ich mir dann das Ringelshirt als Mitbringsel.

ZEIT ONLINE: Wofür steht das Blau und das Weiß der Streifen?

Grassl: In der Typologie der Farbenlehre steht das Weiß für Reinheit, Ruhe, Ehrlichkeit, Klarheit, Vollkommenheit und Leichtigkeit. Blau wird mit dem Himmel und dem Wasser assoziiert.

ZEIT ONLINE: In Hamburg scheint man dieses Muster besonders viel zu sehen.

Grassl: Ja, aber auch in der Normandie oder in der Bretagne. Dort hat man – wie in Hamburg – das Maritime und den Matrosenlook sehr verinnerlicht.

ZEIT ONLINE: Woher kommen die blau-weißen Streifen ursprünglich?

Grassl: Eingeführt wurde es vom französischen Militär im 19. Jahrhundert, bretonische Fischer übernahmen es von der Marinière. In der Seefahrt hatte der Look auch mit Aberglauben zu tun: Man glaubte nämlich, dass diese gestreiften Hemden böse Geister vertreiben. Indem diese auf das Shirt schauten, wurden sie verwirrt und verschwanden. Einer der Gründe, warum die Matrosen diese Streifen getragen haben, war ein ganz pragmatischer: Durch die auffällige Zweifarbigkeit wurden sie besser an Deck gesehen, oder auch wenn sie über Bord gingen. Das klassische Shirt der Marine zählte übrigens genau 21 Streifen.

ZEIT ONLINE: Wieso genau 21?

Grassl: Es soll eine Reminiszenz an Napoleon gewesen sein, angeblich hat er 21 Siege errungen.

ZEIT ONLINE: Wer war der erste Modedesigner, der das Muster für sich entdeckte?

Grassl: Coco Chanel ließ es in den 1910er-Jahren in ihre Kollektion einfließen. Es wird berichtet, dass sie in der Bretagne im Urlaub war und die bretonischen Fischer bei der Arbeit am Wasser sah und ihr so die Idee kam. Durch Coco Chanel bekam der Streifenlook die Eleganz, die ihm noch heute zugeschrieben wird. Doch auch bei Jean Paul Gaultier spielten die maritimen Streifen eine wichtige Rolle. Gaultier war stark von der Popkultur der Sechziger- und Siebzigerjahre beeinflusst. 1995 brachte er ein Parfum im Matrosenshirt-Flacon Le Male auf den Markt. Ein anderes markantes Beispiel ist die Kollektion Les Marins aus dem Jahr 1983, in der Gaultier den Streifenlook mit Korsetts, Kilts und anderen unkonventionellen Kleidungsstücken kombinierte. Aber auch der japanische Designer Yohji Yamamoto arbeitete mit Streifen.

ZEIT ONLINE: Wer waren die bekanntesten Träger des Looks?

Grassl: Pablo Picasso posierte häufig in gestreiften Longsleeves, mit Pinsel und Farbpalette. Kurt Cobain, der Leadsänger von Nirvana, machte das Shirt in den Neunzigerjahren populär. Durch Cobain und Picasso stand das Shirt immer auch ein wenig für Rebellion und Unangepasstheit.

Streifenhemden gehen immer. Oder?

ZEIT ONLINE: Und, nicht zu vergessen, die französische Kinobewegung der Nouvelle Vague. Ob Jeanne Moreau in Truffauts Kino, Brigitte Bardot bei Godart oder Jean Seberg, sie alle trugen den French Chic. Wie ist es dem Shirt in all den Jahren gelungen, so zeitlos zu bleiben?

Grassl: Es gibt unzählige Möglichkeiten, es zu kombinieren. Das Fischerhemd mit den Blockstreifen war der Ursprung. Doch im Laufe der Zeit wurde es immer wieder neu adaptiert, bis zum Oxford-Hemd mit dem angeknöpften Kragen. Über die Zeit entstanden neue Farbgebungen, von Hellblau bis zu diesem dunkelblauen Farbton. Und mittlerweile gibt es die Streifen in allen erdenklichen Farbtönen. Es hält sich, weil man es sowohl lässig als auch formeller tragen kann.

ZEIT ONLINE: Wann sollte man darauf lieber verzichten?

Grassl: Das kommt auf den Dresscode an. Durch die Einführung des Casual Fridays wurden neben Poloshirts auch sehr leger getragene Streifenshirts in der Arbeitswelt akzeptiert, gerne ohne Krawatte, mit einem um die Schultern gelegten Kaschmirpulli. Ich persönlich würde es aber zu offiziellen Geschäftsterminen nicht tragen.

ZEIT ONLINE: Und was passt untenrum dazu? Klassische Bootsschuhe?

Grassl: Mit einer weißen Leinenhose und den ledernen Bootsschuhen bedient man auf jeden Fall den Preppy Style, also den Look der jungen Elite der amerikanischen Ostküste.

ZEIT ONLINE: Wie kommt es, dass der Streifenlook beinahe jedem Menschen gut steht?

Grassl: Streifen lassen sich vielseitig kombinieren. Sie können sportlich, elegant, lässig oder sogar avantgardistisch wirken, je nachdem, wie sie in einem Outfit integriert werden. Und sie passen sich relativ an die individuellen Körperformen, Persönlichkeiten und Stile an.

ZEIT ONLINE: Es heißt aber, Querstreifen tragen auf. Stimmt das?

Grassl: Nein, das kann man so pauschal nicht sagen. Eine der bekannteren Studien dazu stammt von Dr. Peter Thompson von der University of York. Er stellte 2008 fest, dass Menschen, die Kleidung mit Querstreifen tragen, sogar oft als schlanker wahrgenommen werden als solche mit Längsstreifen. Diese Studie stützt sich auf visuelle Wahrnehmungsexperimente, ist jedoch wie viele andere Studien auch nicht unumstritten. Es hat vermutlich mehr mit der Dicke der Streifen zu tun. Breitere Querstreifen können eine auftragende Wirkung haben, schmale Querstreifen machen eher schlank.

ZEIT ONLINE: Wie viele Streifenshirts haben Sie im Schrank hängen?

ZEIT ONLINE: Und wann werden Sie es tragen?

Grassl: In den nächsten Tagen geht es in den Urlaub ans Meer. Ich werde mit Sicherheit mindestens ein Streifenoberteil mitnehmen.

Interview: Franziska Herrmann, Hamburg

Resümee

Das Interview mit Theo verdeutlicht, wie ein Alltagskleidungsstück durch geschichtliche Hintergründe und prominente Vorbilder zu einem unverzichtbaren Klassiker werden konnte.

Zugleich zeigt es, dass selbst ein traditionelles Muster immer wieder neu interpretiert werden kann, sei es in eleganten, sportlichen oder unkonventionellen Outfits.

So bleibt das Streifenshirt, ob als lässiges Matrosenoberteil oder Teil einer anspruchsvolleren Garderobe, wohl noch lange ein essenzieller Bestandteil der Modewelt.